09 Sep Der Teufel sitzt nicht im Detail, sondern im Kapitalismus – Teil III
Alternative zu Rassismus und Kolonialismus ist der Kampf gegen das Kapital:
Für die Situation in Deutschland gäbe es innenpolitisch viel anzukreiden. Es lässt sich eine Liste mit Schlagwörtern aufstellen, die sicher kein Ende finden würde: Die Ungleichheit im Bildungssystem, Migration für den Arbeitsmarkt als Umgehungsstrategie der Arbeitsstandards und der Lohnniveaus, die problematische Rolle des Exportsektors und der Rohstoffausbeutung in vielen Ländern des globalen Südens, die Waffenlieferungen weltweit und ganz besonders die Konkurrenzprinzipien in weiten Teilen unserer Lebensbereiche. Sie verschärfen die Verrohung und damit auch den Rassismus.
Der Sozialstaat und die erkämpften sozialen Rechte stellen für die Freiheit des Marktes und die Logik des international zugespitzten Konkurrenzkampfes einen großen „Standortnachteil“ dar.
Damit hängt die Rechtsentwicklung unmittelbar mit dem Neoliberalismus zusammen. Dass der Stärkere gewinnt, bedeutet gleichzeitig auch, dass der Schwächere verliert – die Dimensionen darin sind international, aber auch in Deutschland in den Betrieben, an Schulen, in Universitäten zu sehen. Diese Alltagserfahrung von Millionen von Menschen ist der Nährboden für die Rechtsentwicklung. Der Neoliberalismus ist als Entfesselung des Konkurrenzprinzips also mitverantwortlich für die Ungleichheit von Menschengruppen („Rassen“, Geschlechter, Klassen) und ihre rechte Legitimierung durch die angebliche Ungleichwertigkeit dieser Menschengruppen.
Ähnlich ist dieselbe Kulturalisierung von sozialen Fragen innenpolitisch zu beobachten: Unter der Bedingung von Knappheit an Wohnraum, Kita- sowie Arbeitsplätzen werden Menschen mit Migrationshintergrund in Konkurrenz gesetzt gegen „Deutsche“. Folgerichtig in dieser Logik erleben wir eine Zurichtung von Migrationspolitik auf die Verwertbarkeit der einzelnen Geflüchteten für den Arbeitsmarkt. Es ist nicht mehr die gesellschaftliche Verantwortung, mehr Wohnungen zu bauen, sondern die Knappheit von Sozialwohnungen wird akzeptiert und stattdessen werden Konkurrenten verdrängt: „Die Ausländer sollen in ihre Heimat, dann hätten wir auch wieder genug Wohnungen für Deutsche“. Der Bürgergeldempfänger wird zunehmend auf eine Menschengruppe (arabisch, türkisch, muslimisch) begrenzt, um den sozialen Rassismus zu legitimieren. Damit wird Arbeitslosigkeit rassifiziert und als politischer Mythos gegen migrantische Menschen in Stellung gebracht.
Die AfD erhält deshalb so viel Zuspruch, weil die durchaus registrierte Spaltung zwischen Reich und Arm in breiten Bevölkerungsschichten zunehmend als eine Spaltung von „Ausländer vs. Deutsche“ umgedeutet wird. Die Armut wird als ungerechtfertigte Sozialleistung gegenüber „ausländischen Bürgergeldempfängern“ ins Spiel gebracht. Die AfD bietet eine gesellschaftliche Alternative an, die die Logik des Konkurrenzkampfes und Kapitalismus stärker verabsolutiert. Gegen diese Kulturalisierung von sozialen Fragen gibt es nur eine Lösung: Diese sozialen Fragen zu beantworten!
Alternativen sind möglich – auch historisch!
Christian Lindner (Finanzminister, FDP) verteidigte die aktuelle Austeritätspolitik mit folgenden Worten: „Das ist kein ausgedachtes Spardiktat, weil ich ein kalter Mensch bin, sondern es ist ein Gebot ökonomischer Vernunft“. Wie „vernünftig“ kann eine Ökonomie sein, in der ein Krankenhaus insolvent gehen kann?
Was Lindner heute „ökonomische Vernunft“ (=Kürzungspolitik) nennt, wäre zuallererst auch zu suchen in der „außenpolitischen Vernunft“. Mit dem Frieden mit Russland wäre die Legitimation der absurd hohen Militärausgaben obsolet und gewaltige Kapazitäten für eine soziale Entwicklung freigesetzt.
Innenpolitisch schwerwiegend ist die Wiederholung von historischen Fehlern des damaligen Reichskanzlers Brüning ab 1930. Dieser trieb mittels Kürzungspolitik durch autoritäre Notverordnungen breite Wählerschichten (prekarisierter Mittelstand) praktisch in die Hände der Nazis. Mit dem „Gesetz zur Behebung von Not von Volk und Reich“ (Ermächtigungsgesetz) gaben die Nazis vor, dieser großen Krise samt ihren Auswirkungen Herr zu werden. Hitlers Grundsatzrede zu diesem „Ermächtigungsgesetz“ war folgerichtig als Antwort auf die Krise insgesamt formuliert – nicht nur als Gesetz zur Verfolgung von einem „Einzeltäter“, der den Reichstag in Brand gesetzt haben soll. So hoben am 23.03.1933 im bürgerlichen Lager, von Konservativ bis Liberal, alle ihre Hände für die Abschaffung der demokratischen Grundrechte. Sündenböcke für die Krise waren damals die Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden – eine in der Tendenz wiedererkennbare Entwicklung.
Zur selben Zeit wurde im kapitalistischsten Land der Erde, den USA, am 6. März 1933 der New Deal Act verkündet. Der dazugehörige Präsident gewann den Wahlkampf seiner zweiten Amtszeit u.a. mit den Worten: „Wir kämpfen […] gegen die Klassenspaltung, den Partikularismus und gegen die Kriegsprofiteure. Sie alle haben sich daran gewöhnt, die amerikanische Regierung als Anhängsel ihrer Geschäfte zu betrachten. Wir wissen nun, vom organisierten Geld regiert zu werden, ist genauso gefährlich, wie von der Mafia regiert zu werden.“ Der New Deal Act – ein neuer Gesellschaftsvertrag – war ein massives Umverteilungsprogramm: massive Investitionen in öffentliche Infrastruktur, ein nie dagewesenes öffentliches Beschäftigungsprogramm, die Einführung des Sozialstaates mit der Rentenversicherung, die Erhöhung der Löhne durch die Stärkung von Gewerkschaftsrechten und von Arbeitsrechten mit Mindestlohn und Arbeitszeitbegrenzung, eine Regulierung des Bankensystems (Glass-Steagall Act) und strikte Finanzmarktregulierung sowie die Einführung einer Körperschaftssteuer und dem Festsetzen des Spitzensteuersatzes auf 79%.
All das wurde durch eine starke Gewerkschaftsbewegung für den Ausbau sozialer Rechte entwickelt und erkämpft. Dieser Weg erscheint jedem Vernünftigen doch etwas logischer und lösungsorientierter zu sein als der historische Faschismus. Diese unterschiedlichen Entwicklungspfade stellen sich heute erneut – mit ähnlichen Parallelen zur Krise.
Daher der Appell: Mehr Mut, sich gegen die Verhältnisse zu wehren, die uns überhaupt in diese Konkurrenzsituation drängen und herrschaftskritischer zu werden! Zum Wohle aller! Diese Geschichte wird noch gemacht.