29 Jun Aufrüstung: der Weg in den Abgrund
Das von der Bundesregierung beschlossene Sondervermögen für die Aufrüstung verschärft unsere dringendsten Probleme, ohne sie zu lösen. Wir haben 100 Milliarde bessere Ideen, meint Rita.
Im Windschatten des Entsetzens über den völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine hat die Bundesregierung die Gelegenheit genutzt, um für die Bundeswehr ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro zu beschließen. Denn die Regierung weiß, dass bei einer breiten öffentlichen Debatte ihre Mehrheit für das Rüstungsprogramm in Gefahr ist. Bereits kehrt in die Bevölkerung Kriegsmüdigkeit ein, aber auch junge Menschen beschäftigt das mögliche Kriegsszenario. Laut der aktuellen Studie “Jugend in Deutschland” ist Krieg in Europa die größte Angst von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Mit der Festschreibung des Sondervermögens im Grundgesetz, setzt es jedoch eine unumkehrbare Aufrüstungsspirale in Gang, die das friedliche Miteinander in die weite Ferne rückt. Die von Bundeskanzler Scholz proklamierte „Zeitenwende“ wird selbstverständlich mit dem Krieg in der Ukraine begründet. Aber eine Aufrüstung der Bundeswehr hätte den Ausbruch des Kriegs in der Ukraine nicht verhindert und wird auch keinen Einfluss auf den Kriegsverlauf haben: Die gesamten Militärausgaben der NATO-Staaten waren bereits 2020 gegenüber den Militärausgaben Russlands um das 17-fache überlegen.
Es ist höchste Zeit, dass unsere Generation wieder gegen Waffenexporte und für Abrüstung auf die Straße geht! Unsere Forderung nach Frieden muss sich sowohl an Russland als auch an die NATO richten, die Kriege außerhalb Europas befeuert. Krieg ist einer der häufigsten Fluchtursachen auf der ganzen Welt. Aber auch an den Grenzen Europas sterben seit vielen Jahren Menschen auf der Flucht. Man denke da an die europäische Abschottungspolitik der letzten Jahre, die das Mittelmeer zum größten Massengrab Europas machte und zahlreiche Menschenleben in Kauf nahm. Oder an die polnisch-belarussische Grenze, an der Geflüchtete einer aussichtslosen Situation und Tod überlassen wurden. So sieht keine friedliche und sichere Welt aus!
Das Sicherheitsgefühl steigt überhaupt nicht, wenn die Bundesrepublik nun den weltweit drittgrößten Militärhaushalt haben soll und damit, laut Christian Lindner, eine der schlagfertigsten Armeen Europas aufbaut. Im Gegenteil. Diese Konfrontation führt dazu, dass in den Leitmedien wieder darüber geschrieben wird, wie wahrscheinlich eigentlich ein atomar geführter großer Krieg ist. Glaubt denn ernsthaft irgendjemand, aus einem solchen großen Krieg könnte irgendjemand als Gewinner hervorgehen, wenn er nur genug aufrüstet?
Statt neues Wettrüsten zu riskieren, Kriege zu befeuern und Flucht und Leid zu verursachen, haben wir 100 Milliarden bessere Ideen, wohin das Geld investiert werden kann.
Fast ein Drittel aller Studierenden in Deutschland lebt in Armut. Vor zwei Jahren standen wir auf der Straße, als uns mit dem Beginn der Pandemie nicht nur unser Sozial- und Studierendenleben weggebrochen ist, sondern auch unsere Nebenjobs weg waren und somit für viele der Lebensunterhalt unsicher war. Für unsere Forderung nach 1 Milliarden Euro für 1 Millionen Notleidende Studierende sei, hieß es, kein Geld da. Das fanden auch der damalige Juniorpartner SPD und die Oppositionspartei Die Grünen schlimm und versprachen auf einer Demo in Berlin, dass mit ihnen alles besser würde. Seit Jahren fordern Studierende und Schüler*innen, dass das BAföG grundlegend reformiert werden muss und für mehr Menschen geöffnet werden soll. Die von der Ampel-Regierung beschlossene Reform ist jedoch ein Witz: Die Beträge sind nicht der Inflation angepasst und noch immer nicht einmal auf Sozialhilfe-Niveau. Danke für nichts, liebe Ampel-Regierung.
Indes wird seit Jahren fleißig in die Militärforschung an deutschen Unis investiert. An rund 50 deutschen Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen werden Forschungsprojekte von militärischen Auftraggebern finanziert. Unter diesen Auftraggebern befinden sich nicht nur die Bundeswehr, sondern auch das europäische Verteidigungsministerium, die US-Forschungsförderung des Pentagon und weitere Rüstungsunternehmen. Gefördert wird unter anderem die Entwicklung der Aufklärungssatelliten, Radarsystemen, Drohnen oder neuen Sprengstoffen. Die größte Fördersumme seit dem Jahr 2008 hat die Münchener Ludwig-Maximilians-Universität mit über 3,6 Millionen US-Dollar zu verzeichnen. Mit der Hälfte des Geldes soll die Entwicklung von Sprengstoffverbesserungen für das US-Militär gefördert werden.
Dabei sollen gerade die Hochschulen als Orte der kritischen Bildung und Wissenschaft mit gutem Beispiel vorangehen und für eine friedliche Lehre und Forschung streiten. Bereits 1665 formulierte die Universität Kiel bei ihrer Gründung den Leitsatz „Friede ist das höchste Gut“. Seit der Friedensbewegung der 90er Jahre verpflichten sich immer mehr Hochschulen zu friedlicher Forschung und manche Bundesländer verankern die Leitlinie sogar in ihren Gesetzen. Doch trotz der Verankerung der Zivilklausel an vielen Universitäten kommen unter dem Vorwand des doppelten Verwendungszwecks die vermeintlich friedlichen Forschungsprojekte für militärische Zwecke weiterhin zum Einsatz.
Statt der Militärforschung brauchen wir jedoch dringend ausreichende Hochschulfinanzierung und Existenzsicherung von Studierenden, die an der Armutsgrenze leben.
Neben dem Krieg ist auch die Klimakrise die größte Angst junger Menschen. Der jüngste IPCC Bericht stellte fest: Die jetzige Politik bringt uns auf 3,2° Erderwärmung. Der Krieg befeuert die Klimakrise. All die Waffen, all das Kriegsmaterial, was jetzt angeschafft wird, muss erstmal produziert werden. Bei einem globalen Wettrüsten ist der Versuch, die Klimakatastrophe noch abzuwenden, endgültig gescheitert. Schon ohne diese massive Aufrüstung tun wir uns sehr schwer damit, die Industrieproduktion klimaneutral umzubauen. Die Rüstungsproduktion auszubauen, konterkariert alle bisherigen Klimaschutz-Versuche, die jetzt schon nicht ausreichen.
Schon deswegen muss klar sein, dass diese Hochrüstung verhindert werden muss und das Geld in konsequenten Klimaschutz fließen.
Diese Beispiele sind auch nur ein Teil der Probleme, die man mit 100 Milliarden Euro behandeln könnte. Wir sollten auch marode und kaputtgesparte Gesundheitswesen nicht vergessen. Wo bleiben da die Investitionen? Immense Missstände in der Pflege wurden mit Beginn der Corona-Pandemie verschärft. Statt Lohnerhöhung, bessere Arbeitsbedingungen und Entlastung der Pflegekräfte wurde nur symbolisch geklatscht. Die viel zu spät beschlossenen 1 Milliarde Euro Corona-Bonus sind viel zu wenig für Menschen, die tagtäglich das Gesundheitssystem aufrechterhalten haben und es weiterhin tun.
Auch die Sozialleistungen, der Nahverkehr, die Kunst und Kulturbranche, das Rentensystem, die Energiewende, Jugendeinrichtungen, sozialer Wohnungsbau, sind alles Probleme, derer sich die Regierung annehmen könnte. Es ist also offensichtlich, dass die Interessen der Banken und Konzerne sowie die Profite der Kriegsindustrie für die Regierung wichtiger sind als die Interessen der arbeitenden Menschen, der Geflüchteten und der Armen. Deswegen sagen wir NEIN zu den 100 Milliarden fürs Wettrüsten.
Nicht große Armeen und modernstes Militärmaterial können den Frieden sichern, sondern nur eine starke internationale Friedensbewegung!
Rita Kavali ist Kulturgeographin und Geschäftsführerin von Die Linke.SDS