27 Sep Leerer Hörsaal, kalte Dusche?
Die Unis müssen Strom sparen, es drohen wieder Online-Seminare. Wir Studierende müssen also die verfehlte Energiepolitik ausbaden, während Konzerne Rekordgewinne einstreichen. Dagegen muss sich endlich Protest regen, finden Moritz und Lea.
Der Winter wird hart für Studierende. An nahezu allen deutschen Hochschulen werden Gespräche über mögliche Energiesparmaßnahmen geführt, an vielen wurden bereits erste umgesetzt: Eingeschränkte Betriebszeiten der Bibliotheken und Mensen, reduzierte Heiztemperaturen in Hörsälen und abgeschaltete Außenbeleuchtung am Campus. Von Seiten der Universitäten wird versichert, dass es keine Einschnitte zu Lasten der Studierenden geben wird. Nun stehen aber sogar komplette Schließungen zur Debatte. Dabei wurde der Präsenzbetrieb auch im letzten Sommersemester gar nicht flächendeckend wieder aufgenommen. Studierende leiden darunter: Psychische Erkrankungen nehmen seit den Lockdowns zu, psychologische Beratungsstellen sind an vielen Hochschulen überlastet. Es droht wieder die Online-Uni; dieses Mal aber nicht wegen Corona, sondern aufgrund der steigenden Energiepreise.
»Macht mit und friert für uns!«
Auch die Studierendenwerke, die die Wohnheime und Mensen betreiben, rufen ihre ca. 200.000 Bewohner*innen mit der mäßig sympathischen »#MyEnergyChallenge« auf Social Media zur Mithilfe auf. Durch gegenseitiges Herausfordern zum kälteren, kürzeren Duschen oder dem Verzicht aufs Haare föhnen soll Energie gespart werden. Dabei sendet die »Challenge« ein so unmissverständliches wie erschreckendes Signal an die Studierenden: »Macht mit und friert für uns, sonst müssen wir leider die Miet- und Mensapreise anheben.«
Bereits vor der Pandemie waren über 30 Prozent der Studierenden in der BRD von Armut betroffen, bei den Alleinlebenden sogar fast 80 Prozent. Das mittlere Einkommen der Studierenden lag schon 2020 mit 802 Euro deutlich unter der Armutsgrenze von 1.266 Euro. Obwohl wir es uns eigentlich nicht leisten können, müssen wir nun ausbaden, dass unsere Regierung seit Jahrzehnten versäumt hat, nachhaltige Energiepolitik zu betreiben, und sich in einem ungeheuren Maß von russischen Gaslieferungen abhängig gemacht hat. Statt eine kollektive Lösung zu finden, wird wieder einmal an unsere individuelle Verantwortung appelliert. Dabei ist klar, dass wir mit einer kalten Dusche ein solches politisches Versagen wohl kaum wieder ausgleichen können. Denn für die meisten von uns gab es schon vor der Krise kaum Potenzial zum Sparen – weder von Geld noch Strom.
Kapitalismus ist kein Naturgesetz
Leider hat es jedoch System, dass nun die anpacken müssen, die wenig zur jetzigen Situation beigetragen haben. Der Grünen-Wirtschaftsminister Habeck möchte offensichtlich vermeiden, die zur Kasse zu bitten, die von der Krise profitieren. Denn anders als uns aus Regierungskreisen suggeriert wird, wird es nicht für alle teurer. Bei manchen Energiekonzernen knallen die Korken, es werden Rekordgewinne verzeichnet. Angesprochen auf die irrsinnige Gasumlage, die statt der Krisengewinner*innen nun die Verbraucher*innen zur Kasse bitten soll, erteilte eine Sprecherin des Ministeriums die Auskunft, dort sei man der Auffassung, »dass ein Unternehmen auch Gewinne machen muss«. Es handelt sich um eine bewusste Politik der Umverteilung – von Unten nach Oben.
Es ist richtig, dass Unternehmen heute Gewinne machen müssen, um am Markt bestehen zu können. Das ist aber kein Naturgesetz, sondern, wie Karl Marx schon vor mehr als 150 Jahren feststellte, das Gesetz des Kapitalismus. Während viele Menschen ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, werden die Profite der Konzerne geschützt. Unsere Energieversorgung ist von Unternehmen in privater Hand abhängig. Selbst in einer Marktwirtschaft war das nicht immer so und muss auch nicht so sein. Es käme uns allen zugute, wenn die Energiekonzerne vergesellschaftet würden.
Politik für Konzerne und Banken
Denn heute sind es einige Wenige, die sich mit den Früchten der Arbeit die Taschen voll machen können, die viele andere Menschen gemeinschaftlich geleistet haben. Sie stehen an den Spitzen der Unternehmen und treffen Entscheidungen, die unser Leben zutiefst beeinflussen, ohne dass wir mitreden können. Genau diesem Profitstreben muss die Politik Einhalt gebieten, denn es trägt nicht zum Wohl der Gesamtgesellschaft bei. Tatsächlich geschieht das Gegenteil. Denen, die keine Firmenanteile oder Immobilien haben, werden Schranken gesetzt, während einige wenige weiter Geld anhäufen dürfen.
Es geht der Regierung nicht um Entlastung für die, die es nötig haben. Die FDP ist eine armenfeindliche Partei, die mit Vehemenz die längst widerlegte These vertritt, jede*r sei des eigenen Glückes Schmied. In der Realität wird sozialer Aufstieg nachweislich immer seltener. Die beiden größeren Partnerinnen der Ampel sind angeblich linke Parteien. Doch davon nahmen sie spätestens bei ihrem Gemeinschaftsprojekt Agenda 2010 Anfang der 2000er Jahre Abschied. Im Zuge dieser bauten sie den größten Niedriglohnsektor Europas auf. Unsere Regierung betreibt Politik für Konzerne, Banken und Besserverdienende. Dass in den »Entlastungspaketen« diejenigen mit höherem Einkommen mehr bekommen als die, die es bitter nötig hätten, rundet das verstörende Bild ab.
Wir brauchen soziale Proteste!
Wir brauchen keine Schein-Entlastung, die wie ein Tropfen auf dem heißen Stein verpufft, während die Preise für Wohnen, Essen und Leben explodieren und 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgegeben werden. Wir brauchen eine Politik, bei der es ans Eingemachte geht: An die Profite der Konzerne, an ungerecht verteilte Reichtümer und Lasten der Krise. Das System, in dem einige Wenige entscheiden können, was mit dem Wohlstand geschieht, der uns allen zusteht, schadet uns und ist mit einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar. Wir brauchen den heißen Herbst der sozialen Proteste, um den Regierenden zu zeigen, dass wir diese Scheinheiligkeit nicht mehr hinnehmen. Wir brauchen einen Zusammenschluss derer, die sich für das gute Leben der 99 Prozent einsetzen, aus Klima- und Friedensbewegung, von Antirassist*innen, Feminist*innen, Gewerkschaften und Linken. Wir müssen laut und unbequem sein. Denn ohne Druck von Unten wird die Umverteilung nach Oben stetig weitergehen.
Von Lea Klingberg und Moritz Menzel
Dieser Beitrag erschien zuerst in der critica Nr. 29. Du erhältst sie beim SDS in deiner Stadt oder kannst sie hier online lesen.