Queere Film- und Serientipps für die letzten heißen Tage des Jahres

Queere Film- und Serientipps für die letzten heißen Tage des Jahres

Sechs Wochen nach dem Pride Month möchten wir euch noch einmal mit queeren Filmen und Serien versorgen, die die Autor*innen unserer Redaktion beeindruckt, zum Lachen und Nachdenken gebracht haben.

Todo sobre mi madre (Alles über meine Mutter) (1999) – Pedro Almodóvar

In diesem Film geht es um Manuela, die Mutter des gerade 17 Jahre alt gewordenen Esteban. Er will Schriftsteller werden und schreibt an einem Buch über seine Mutter, welches den Titel Todo sobre mi madre (Alles über meine Mutter) trägt. Tatsächlich würde er aber lieber alles über seinen Vater wissen, den er nie kennenlernen durfte und über dessen Existenz sich seine Mutter in Schweigen hüllt. An seinem Geburtstag wird er von einem Auto angefahren und stirbt. Um die Trauer zu verarbeiten kehrt Manuela zurück nach Barcelona, um Estebans Vater ausfindig zu machen. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Estebans Vater ist eine TransFrau und an AIDS erkrankt. Während der Suche kommt Manuela mit vielen gescheiterten Existenzen in Kontakt, so z.B. einer alten Theaterschauspielerin, der nichts mehr im Leben bleibt außer ihrer Zigaretten, oder einer alten Freundin, Agrado, die auch eine TransFrau ist und in Barcelona als Sexworker arbeitet, wobei sie regelmäßig das Opfer von brutaler Gewalt wird. Am Ende des Films, werden die Worte eingeblendet: »Für alle Frauen, die schauspielern, für alle Männer, die schauspielern und sich zu Frauen machen, Für alle Personen, die gerne Mütter wären.« Tatsächlich kommen, außer Esteban, nur 2 männliche Nebenfiguren vor. Alle Hauptpersonen sind Frauen, Mütter, Drogenabhängige, Schauspielerinnen und/oder Trans-Frauen. Sie alle gehen eine Schicksalsgemeinschaft ein und versuchen irgendwie ihr Leben zu meistern. Während der 100 Minuten erfahren wir also nicht nur alles über unsere Mutter, sondern alles über Frauen und Frauenwelten.

Tomboy (2011) – Céline Sciamma

Die Regisseurin, die später »Porträt einer jungen Frau in Flammen« machen sollte, drehte bereits 2011 einen kleinen, ruhigen Film über die Kindheit eines Mädchen, dass doch lieber ein Junge sein will. Ihre Familie ist gerade in eine neue Stadt gezogen und den Nachbarskindern stellt sich Laure als Michael vor. Von ihrem Kleidungsstil und ihren kurzen Haaren passt der Name sehr gut und fortan behandeln ihre neuen Freunde sie wie einen Jungen. Michael darf mit den Jungs zusammen Fussball spielen, sie raufen sich und veranstalten Wasserschlachten. Zeitgleich verliebt sich die Nachbarin Lisa in Michael. Von alldem bekommen Laures Eltern nichts mit. Zwei Szenen in diesem Coming-of-age-Film strotzen vor Kraft. Da gibt es eine Szene bei Lisa zuhause, in der sie Michael vorschlägt sich zu schminken. Sie bemalt ihm die Augenlieder und Wangen, am Ende gibt es sogar roten Lippenstift. Lisas Kommentar: »Du siehst gut aus als Mädchen« wirkt in dieser Situation fast zynisch. In einer anderen Szene will Michael mit seinen Freunden an den See zum Schwimmen gehen. Er hat aber leider nur einen Badeanzug, schnell ist dieser in eine Badehose umgeschneidert. Eine kurze Überprüfung im Spiegel offenbart, irgendetwas fehlt noch. Also wird mit Knete eine kleine Penis-Attrappe hergestellt. Dieser Film bezeugt so unaufgeregt das Seelenleben von Kindern und schafft dabei noch eine Einleitung in die Gender-Theorie.

Laurence Anyways (2012) – Xavier Dolan

Wer Xavier Dolans Filme kennt, der weiß, dass ehrliches Kino über zutiefst menschliche Erfahrungswelten erwartet werden kann. Ein Anspruch, dem Laurence Anyways wie kein zweiter Film gerecht wird. Der Protagonist Laurence ist gerade 35 Jahre alt geworden und lebt in einer glücklichen Beziehung mit seiner Freundin Fred. Nichts scheint die ausgeglichene Partnerschaft zu trüben. Laurence hat allerdings ein geheimes Verlangen, das plötzlich aus ihm herausbricht. Wir bekommen seine intimsten Momente mit, sein Hadern und Verzweifeln. Er will nun endlich als Frau leben. Für Fred bricht eine Welt zusammen. Mit Laurence’ Coming-Out nimmt die Geschichte ihren lauf. Eine Geschichte, die nichts beschönigt oder stilisiert. Der Regisseur zeigt, wie viel Gewalt, Wut und Trauer das Leben von Laurence begleitet, aber auch wie viel Mut, Liebe und Courage nötig ist, um diesen Weg nicht alleine zu gehen. So erleben wir auch die Partnerschaft der Beiden als etwas Fragiles, was trotzdem mehr aushalten kann, als man denken mag. Die Sprache ist ein besonderes Augenmerk. Wie immer in Dolan‘s Filmen ist sie vollgestopft mit Ausbrüchen, Ekstasen und dann wieder ruhigen Momenten – sehr passend für einen so ungeschminkt ehrlichen Film.

Pride (2014) – Matthew Warchus

Pride ist DER Film der 2000er Jahre, den alle politisch Interessierten und Aktiven gesehen haben sollten. Er behandelt die Geschichte einer Gruppe von Lesben und Schwulen im London der 1980er Jahre, die Geld sammeln für die streikenden Bergarbeiter im Norden Englands und Wales. Sie wollen Kämpfe verbinden und sich mit denen solidarisieren, die genauso unter dem politischen/wirtschaftlichen System der Thatcher-Regierung und der damit verbundenen Polizeigewalt leiden, wie sie selbst. Während sie in London ihre Viertel und ihre Kreise gefunden haben und diese bestmöglich vor homophober Gewalt bewahren, stoßen sie bei den Bergarbeitern im Norden des Königreichs auf Ablehnung und Zurückweisung. Nur ein Ort in Wales möchte ihr gesammeltes Geld annehmen und lädt sie zu einem Treffen ein. Was passiert, wenn Menschen zusammenkommen und zusammenfinden, die vermeintlich so gar nicht zusammenpassen, wird in diesem Film von Matthew Warchus herzerwärmend dargestellt. Doch dieser Film ist mehr als eine rührende Geschichte. Er gibt Hoffnung, dass wir politische Känpfe verbinden können und müssen, dass wir mehr gemeinsam haben, als wir vorerst denken und dass wir nur zusammen stark sind! Obwohl kurz vor Schluss trotz der Bemühungen alles verloren scheint, bringt der Film ein Ende auf die Leinwand, das auch beim 10. Mal gucken noch zu Tränen rührt.

An alle, die Pride noch nicht kennen: schaut ihn auf jeden Fall, an alle, die ihn schon gesehen haben: jetzt ist die Zeit, ihn erneut zu gucken, denn bald ist Pride Parade!

RuPaul’s Drag Race (seit 2009)– RuPaul

RuPaul’s Drag Race reiht sich ein in die Geschichte von amerikanischen Casting- und Talentshows, die gerade in den 2010er Jahren das Fernsehen bevölkerten. Im Gegensatz zu diversen Topmodel Ablegern, dreht sich bei dieser Drag-Castingshow nicht alles nur um den skinny look, sondern die Kandidat*innen müssen hingegen ihre Talente auf vielfältige Art und Weise unter Beweis stellen. Seien es schauspielerische Fähigkeiten, Kreativität im Zusammenbasteln von Outfits, Comedy-Talent oder Lipsing-Performance. Natürlich ist und bleibt RuPaul’s Drag Race eine Castingshow und es gibt immer einen Konkurrenzkampf zwischen den Kandidat*innen, der zum großen Teil auch durch bitchiges Herumgezicke und Tratschen ausgetragen wird. Dennoch überwiegt am Ende immer die Verbundenheit über das Außenseitersein und ähnliche Lebensumstände. RuPaul’s Drag Race gibt Einblicke in die Kultur der Dragshows, zeigt was für enorme Künstler*innen dahinterstecken, zeigt queeren Zusammenhalt und vor allem in den ersten Staffeln noch geballte 2000er Power.  

Übrigens: Ab dem 05. September gibt es Drag Race Germany auf den Streaming Dienst Paramount+ mit einer Jury bestehend aus Gianni Jovanovic, Barbie Breakout und Dianne Brill.

Heartstopper (ab 2022) – Euros Lyn

Es ist beinahe unmöglich, nicht durchgängig in sein Kissen zu grinsen, während die Serie »Heartstopper« auf Netflix läuft. Die Coming of Age Serie, deren erste Staffel 2022 erschien (die zweite Staffel ist seit Kurzem auf dem Streaming Dienst verfügbar, eine dritte ist in Planung), läuft nach dem typischen Muster »Nerd verliebt sich in Sportler«. Allerdings handelt es sich hier um eine homosexuelle Teenager Romanze. Während die Serie einige schmerzende Themen behandelt: Homophobe Mobber, ungewollte Outings, verständnislose Angehörige, schafft sie trotzdem eine nahezu idyllische Version einer queeren Teenagerliebe darzustellen, ohne jemals zu kitschig zu werden. Sie zeigt den Rugbykapitän der Schulmannschaft, der sich als einfühlsamer Scherzkeks entpuppt, und den gehänselten Außenseiter, der sich einfach nur nach einer Person sehnt, die ihn so liebt wie er ist. Die Annäherung der beiden ist eingebettet in die Dynamiken ihres Freundeskreises, in denen lesbische Liebe und trans* Coming-Outs neben den geschlechterübergreifenden Teenagerproblemen wie die Suche nach der eigenen Sexualität und die Angst vor dem Allein-sein thematisiert werden.

Ich für meinen Teil konnte nicht anders als die Serie in Einem wegzusuchten, weil sie es schafft, einem wohlig warme Glücksgefühle zu bescheren, ohne die teils brutale Realität von queerem Leben jemals auszublenden.