09 Sep »Oppenheimer« oder wie ich lernte die Bombe zu lieben
Eine Filmrezension von Tobias B.
Der Saal war totenstill. Einige der Wissenschaftler drehten sich bereits zu früh zur Explosion hin um. Alle starrten gespannt auf die glühende Wolke über der Wüste von Los Alamos. Ein Lichtblitz erhellte den Saal, die Flammen waberten, und ich war mir sicher, Doktor Seltsam hatte gesiegt. Wir liebten die Bombe.
Christopher Nolans neuester Film »Oppenheimer« kommt genau zur richtigen Zeit. Längst scheint es so, als wäre die nukleare Bedrohung ein Relikt des Kalten Krieges. Hiroshima und Nagasaki sind zu Gedenktagen verkommen. Dass das Atomwaffenprogramm der USA eigentlich für einen Abwurf auf 2 deutsche Städte gedacht war, vergessen wir gerne. Welche Rolle die Kulturindustrie im Hinblick auf diese Thematik leistet, ebenfalls.
Das Kino liebt den Krieg. Seit dem Aufkommen von bewegten Bildern ergötzen wir uns an Westernhelden, Kriegsfilmen und Explosionen. Hier beginnt die Erwartungshaltung an »Oppenheimer«. Wir wissen um die Geschichte der Atombombe, folglich erwarten wir die Zündung von »Trinity«, »Little Boy« oder »Fat Man« als großes Spektakel. In dem Moment, als wir das Universal Logo auf der Leinwand sehen, freuen wir uns auf die Zerstörung der Welt. Doch so leicht macht es uns »Oppenheimer« nicht. Nolan richtet dieses Begehren gegen uns selbst. Der Film spielt mit unseren Erwartungen an gängige Bildorgien. Was er zeigt, ist der Trinity-Test, die erste Zündung einer Nuklearwaffe. Der Durchbruch der Forschung. Der Moment, an dem wir zum Tod wurden, die Zerstörer der Welt. Was uns Nolan hingegen verweigert, ist die Befriedigung durch die Zerstörung. Wir sehen nichts von Hiroshima oder Nagasaki, außer die Kisten, in denen die Atombomben abtransportiert werden. Stattdessen zeigt er uns eine meisterhafte Demonstration von Macht. Der Feuerball von Trinity wird in all seiner furchterregenden Kraft gezeigt. Die Flammen tanzen fast spielerisch durch die Wüstenluft. Wir sehen nichts weiter außer das Feuer der Explosion und den hellen Lichtblitz, der die Gesichter der Beobachter in grelle Fratzen verwandelt. Es würde nicht schwer fallen diese Bilder als Verherrlichung von Tod und Vernichtung zu interpretieren. Doch sollten wir uns einmal genauer anschauen, wie Nolan vorgeht. Was wir zu sehen bekommen ist die Perspektive von Oppenheimer. Er betrachtet sein Werk mit dem Blick eines Schöpfers, neugierig schaut er durch die Luke des Schutzbunkers, nur um wenig später von der Druckwelle getroffen zu werden und realisieren zu müssen: Wir haben eine Grenze überschritten. Zu seiner subjektiven Perspektive gesellen sich noch zwei weitere Handlungsebenen, die von der Zeit nach dem 2. Weltkrieg berichten. Hier sehen wir, wie sich Oppenheimer vor seiner Vergangenheit verantworten muss und wie er sich für die Beschränkung von Nuklearwaffen einsetzt. Auf diese Weise bleiben Ursache und Wirkung eng verwoben und schaffen einen pluralen Blick auf die Ereignisse. Da die Ereignisse nicht einfach nacherzählt werden und uns Stilisierungen und Ästhetisierung lediglich als Mittel der Oppenheimer Perspektive gezeigt werden, bleibt uns eine objektive Betrachtungsweise erhalten. Spätestens, wenn die Radiomeldung über den Einsatz der Atombomben in Los Alamos eintrifft, alle in Jubelschreie ausbrechen und patriotische Reden geschwungen werden, schaffen wir es uns von den Bildern zu lösen, sie aus dem Kino heraus zu tragen und in unsere eigene Welt einzuordnen.
In Nolans Film durchzieht das Motiv der ästhetisierten Bedrohung jede Szene. Im Kinosaal musste ich zuerst an Stanley Kubricks »Doktor Seltsam« denken. In diesem Film von 1964, sind wir schon einen Schritt weiter. Die Sowjetunion und die USA stehen kurz davor, sich mit ihren Massenvernichtungswaffen gegenseitig auszulöschen. Der Titelgebende Physiker Doktor Seltsam wird hier zu einer Karikatur des durchgedrehten Wissenschaftlers. Eine Wissenschaft, die längst jegliche Moral abgelegt hat und sich als egozentrische, machtbesessene Alchemie enttarnt hat. Interessanterweise war nicht Oppenheimer das Vorbild für diese Figur, sondern Wernher von Braun und Edward Teller. Der Physiker Teller spielt auch in Nolans Film eine wichtige Rolle. Er war es, der in Los Alamos lieber an einer Wasserstoffbombe als an einer Atombombe forschen wollte und Robert Oppenheimer als Gegenspieler entgegentrat. Tatsächlich durfte Teller nach dem Krieg genau an dieser Waffe arbeiten, denn für die Amerikaner war Hiroshima und Nagasaki nicht das Ende, die Sowjetunion könnte schließlich bereits an einer neuen Waffe forschen. 1952 wurde »Ivy-Mike«, die erste Wasserstoffbombe nach einem Entwurf von Teller, gezündet. Wenige Jahre später zog die Sowjetunion nach.
Die Andere Vorlage für Doktor Seltsam, Wernher von Braun, kommt ebenfalls im Film vor. Wir sehen ihn nicht persönlich, sondern eine seiner Erfindungen. Braun war der Entwickler der V2-Rakete. Der erste Flugkörper, der den Weltraum erreichen konnte, der Vorgänger der modernen Interkontinentalraketen. Oppenheimer leidet im Film immer wieder unter Visionen einer möglichen Zukunft. Unteranderem sehen wir V2 Raketen, wie sie zu Dutzenden durch die Wolkendecke brechen, ihre Kondensstreifen verbleiben fast malerisch in der Atmosphäre. Was wir nicht sehen, aber wissen, ist dass sie auf Städte in Frankreich, Großbritannien oder Belgien zusteuern. Spätestens jetzt sollten wir verstehen, was Nolan mit uns vorhat. Die Bilder der zerstörerischsten Waffen des 2. Weltkrieges halten uns vor Augen, wie leicht wir uns ablenken lassen. Welche Anziehungskraft Gewalt und Zerstörung in der Kulturindustrie entfalten können. Machen wir uns bewusst, dass Raketen, Atom- und Wasserstoff-Bomben nach wie vor die Berichterstattung über bewaffnete Auseinandersetzungen bestimmen. In den Nachrichten sehen wir Bilder von zerstörten Häuserblöcken. Wir reden über die Nukleare Bedrohung durch Putin, doch können wir eigentlich begreifen, worum es dabei geht? Sind wir nicht zu sehr dem Bilderrausch unterlegen?
Im Gegensatz zu unserer Realität, ist die Leinwand ein Ort der Fiktion. Hier ist alles möglich. Die Zündung der Bombe könnte hier in einer nicht enden wollenden Kettenreaktion resultieren und dabei die Atmosphäre und alles Leben zerstören. Das Kino wäre der einzige Ort, an dem wir es unbeschadet überstehen könnten. Trotzdem erzählt Nolan von einer realen Geschichte. Es waren Wissenschaftler*innen[1] in Los Alamos unter Robert J. Oppenheimer, welche die erste funktionstüchtige Atombombe bauten. Und es waren Wissenschaftler*innen in derselben Forschungseinrichtung, welche wenige Jahre später die erste Wasserstoffbombe bauten. Es waren deutsche Wissenschaftler*innen, die die erste Kernspaltung erbrachten und die V2-Rakete entwickelten. Auch in Doktor Seltsam gibt es unter den Militärs und Wissenschaftlern eine große Liebe zur Zerstörung. Am Ende von Kubricks Film schwingt sich der texanische Major Kong auf eine abwurfbereite Wasserstoffbombe und segelt auf ihr reitend, seinen Cowboy-Hut in der Hand, der Bombe die Sporen gebend, auf das sowjetische Territorium und damit der Götterdämmerung entgegen. Auch bei Nolan werden wir mit der Zerstörung unseres Planeten verabschiedet. Die Detonation von unzähligen Bomben setzt alles in Brand. Die Feuerwalzen überziehen die Erde. Dabei genießen wir diese Bilder keineswegs, ich glaube auch nicht, dass wir sie verherrlichen. Beide Regisseure schaffen es uns bewusst zu machen, wie leicht wir verdrängen und vergessen.
[1] Tatsächlich waren am Manhattan Project und der vorangehenden Arbeit mehrere Wissenschaftlerinnen beteiligt, deren Existenz und Bedeutung im Film allerdings ausgelassen werden.