24 Feb Lützerath: warum uns die Kohle nicht loslässt
Drei Jahre nach dem Kohleausstieg wurde ein Dorf für Braunkohle abgebaggert – von der Partei, die für Klimaschutz angetreten war. Mit Versorgungssicherheit hat das wenig zu tun – mit Profitzwang sehr viel.
Die Klimabewegung hatte lange gekämpft. Aktive in weißen Anzügen waren unter massiver Polizeirepression in die Gruben gestiegen. Schüler*innen, Studierende, Wissenschaftler*innen und viele mehr waren jeden Freitag auf die Straße gegangen. Selbst bürgerliche Parteien wie die Grünen hatten ihn mit großem Erfolg im Wahlkampf gefordert: Den Kohleausstieg.
Nun ist der Kohleausstieg schon fast drei Jahre alt und dennoch wird unter einer grünen Bundesregierung von einer grünen Ministerin und durchgesetzt von einem grünen Einsatzleiter ein kleines Dorf im Rheinischen Revier für Kohle abgebaggert. Nicht erst seit Lützerath ist bekannt, dass der Kohleausstieg mehr Schein als Sein ist – und ohnehin viel zu spät greift. Dennoch lohnt sich ein Rückblick auf die Kohle – denn wer die Klimakrise wirksam bekämpfen will, sollte die Logik hinter dem profitorientierten Energiesystem verstehen.
Energiepolitik unter der Lupe – die Merit-Order
In Deutschland wird elektrische Energie nach dem Merit-Order-System eingespeist. Dabei handelt es sich eigentlich um ein Marktmodell zur Bildung von Strompreisen. Strompreise, die übrigens zu erheblichen Teilen an der Strombörse entstehen. Gleichzeitig ergibt sich aus der Merit-Order – bedingt durch Gesetze und die Eigenschaften der verschiedenen Energieträger – aber auch die Reihenfolge, nach welcher in Deutschland Strom eingespeist wird.
Soweit Netzkapazitäten und Stromleitungen dies zulassen, wird zu jeder Sekunde an jedem Ort immer zuerst der komplette Strom aus erneuerbaren Energien eingespeist. An guten Tagen sind das heute schon theoretisch 100 Prozent des gesamten Bedarfs. Nur, wenn der Strom aus den Erneuerbaren nicht reicht, folgen Atomkraftwerke (mittlerweile abgeschaltet), dann Kohlekraftwerke und zuletzt die Gaskraftwerke. Vor allem die Kohlekraftwerke laufen ständig auf Bereitschaft, um Schwankungen auszugleichen. Dieses System bedeutet aber vor allem: Je stärker die erneuerbaren Energien und dazu die Netzkapazitäten ausgebaut sind, desto seltener benötigen wir überhaupt noch den Kohlestrom.
Auch noch da: Der Emissionshandel
Das Flaggschiff europäischer Klimapolitik ist der in den frühen 2000er Jahren aus der Taufe gehobene Emissionshandel. In einer Welt, in der Unternehmen profitorientiert wirtschaften und nicht für die Folgen ihrer Emissionen zahlen müssen, wird unvermeidlich das Klima geschädigt. Das hat die EU erkannt und antwortete auf ein kapitalistisches Problem mit kapitalistischer Logik: Bestimmte emittierende Unternehmen müssen für jede ausgestoßene Tonne CO2 ein Zertifikat erwerben. Senkt ein Unternehmen den Ausstoß, kann es überschüssige Zertifikate verkaufen beziehungsweise muss es nicht mehr erwerben – die Emission wird zu einer handelbaren »Ware«. In der Theorie sollten so Wettbewerbsanreize geschaffen werden, klimafreundlich zu produzieren. Auf der anderen Seite soll die Anzahl der im Umlauf befindlichen Zertifikate stetig reduziert werden, um auch einen gewissen Handlungsdruck zu erzeugen.
Nach nunmehr 16 ausgesprochen unternehmensfreundlichen Jahren, beginnt das zuletzt genannte Instrument in seit 2021 tatsächlich auch zu greifen. Erst in der aktuell laufenden vierten Phase, beginnt der finanzielle Aufwand schmerzlich zu werden. Eine für das Klima akzeptable Lösung stellt der Emissionshandel freilich nach wie vor nicht dar, dennoch wird er in zunehmendem Maße Einfluss auf die Wettbewerbsdynamiken der Energiemärkte nehmen.
Das Gespenst des Neoliberalismus
Energie ist eine kritische Ressource. Nahezu alles hängt in der modernen Welt von der Verfügbarkeit von elektrischer Energie ab. Lange Zeit war dies auch der Grund dafür, den Sektor kontrolliert in staatlicher Hand zu lassen, oft in Form von hohen kommunalen Beteiligungen. Dies war lange bei RWE der Fall, bei EnBW ist das heute noch so.
In den letzten dreißig Jahren ist jedoch eine ungeheure Privatisierungswelle über dem deutschen Energiemarkt hereingebrochen. Die einzelnen Bereiche Erzeugung, Transport und Vermarktung wurden aufgespalten und zum großen Teil in Privatbesitz gestellt. RWE etwa ist mittlerweile eine Aktiengesellschaft und schüttet jedes Jahr Milliarden an Dividende aus. Über 80 Prozent der Anteile befinden sich in Streubesitz. Daneben haben übrigens der Finanzriese Blackrock und demnächst auch der katarische Staatsfonds nennenswerte Anteile, der kleine Rest gehört der Stadt Dortmund.
Neben der Privatisierung erfolgte auch eine großflächige Liberalisierung des europäischen Energiemarkts, also ein europäischer, freier Strommarkt. Einerseits bedeutet dies Wettbewerbsdruck, andererseits sind auf einem freien Markt zu Zeiten hoher Energiepreise auch astronomische Profite möglich. Andere Bereiche der Energiewirtschaft wiederum sind streng reguliert, etwa der Transport. Hier sind die Entgelte gesetzlich geregelt, was zwar einerseits die Gewinnmarge nach oben hin begrenzt, andererseits aber auch einen gewissen Gewinn garantiert. So oder so: Der Energiemarkt in Deutschland ist für die Konzerne eine riesige Gelddruckmaschine.
Warum der Kohleausstieg für die Konzerne super ist
Die aufmerksame Leserin mag die unangenehme Lage der Kohlekonzerne bereits erahnen: Je stärker der Emissionshandel greift, desto teurer wird die Erzeugung von Kohlestrom. Gerade die Braunkohle, die im Vergleich zur Steinkohle einen niedrigeren Brennwert hat, wird sich wohl schon ab 2030 nicht mehr finanziell lohnen. Wir wissen außerdem: Je fortgeschrittener der Ausbau der Erneuerbaren und der Netze, desto seltener benötigen wir überhaupt Kohlestrom. Die Konzerne müssten aber aus Gründen der Versorgungssicherheit Kraftwerke am Netz lassen, die gänzlich unprofitabel sind. Indes unterliegen sie einem enormen Wettbewerbsdruck, der jede unprofitable Aktivität bestraft.
Der Kohleausstieg kommt da gerade recht: Die Konzerne können planbar und stetig Kraftwerke vom Netz nehmen, die ohnehin bald unprofitabel werden. Weil der Kohleausstieg aber einen Eingriff in das Eigentumsrecht darstellt, lassen sich RWE und Co. mit vier Milliarden Euro auch noch stattlich entschädigen. Als Bonus stehen Politik und Wirtschaft auch noch als Vorreiter im Klimaschutz da, während die Klimabewegung ruhiggestellt wird, bevor diese noch Forderungen aufstellt, die den Unternehmen tatsächlich wehtäten.
Wir sehen also, dass die Kohleindustrie durchaus Gründe hatte, den Kohleausstieg über öffentlich-rechtliche Verträge mit dem Staat abzuwickeln. Übrigens: Die nach wie vor staatlichen Unternehmen müssen für den Kohleausstieg nicht entschädigt werden.
Was ist nun mit Lützerath?
Nun haben wir also einen tollen Kohleausstieg beschlossen und trotzdem musste Lützerath abgebaggert werden. Laut den Grünen und der Landesregierung NRW ging es dabei um Versorgungssicherheit und Klimaschutz. Dafür angeführt werden vor allem der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und das vorgezogene Ende der Kohleverstromung schon 2030, was Teil des Deals mit RWE ist. Das sind jedoch Strohmann-Argumente: Wir wissen ja bereits, dass RWE wegen der zu geringen Profitmarge ohnehin ab 2030 auf Braunkohleverstromung verzichtet hätte. Im Tagebau Garzweiler II wäre auch noch mehr als genug Kohle gewesen, um die Räumung zumindest noch ein paar Jahre hinauszuzögern.
Der Grund für den Deal ist stattdessen simple Profitlogik: Die Kohleflöze unter Lützerath sind besonders ertragreich und sichern RWE besonders große Profite. Wenn auch die Kohleverstromung teurer und weniger ertragreich wird, so versucht der Konzern mit profitableren Minen entgegenzusteuern. Schleierhaft ist noch, was sich die Grünen von dem Deal versprechen, hier kann man wohl nur mutmaßen. Bei einem Blick in die entsprechenden Verträge, tauchen erstaunlich häufig die Worte »Gas« und »Wasserstoff« auf. Ging es also darum, die Industrie auf die energiepolitische Linie der Grünen zu bringen? Vielleicht.
Was der Deal aber auf jeden Fall zeigt: Wenn es wirklich darauf ankommt, stehen die Grünen an der Seite der Konzerne und nicht der Klimabewegung. Die Partei, die als »einzige 1,5°-Partei« in den Wahlkampf gezogen ist, hat sich nach nur einem Jahr Regierung bereits von diesem Ziel verabschiedet Bisher hat sich dies noch nicht in den Wahlergebnissen widergespiegelt, was aber eher an der weltpolitischen Lage und mangelnden Alternativen liegt. Lasst uns also eine starke linke Klimagerechtigkeitsbewegung aufbauen, die ernsthaft für das 1,5 Grad Ziel kämpft!
Kilian studiert Jura in Leipzig und macht sich schon länger Gedanken, wie Klimaschutz und Versorgungssicherheit zusammengehen können.